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Rene Gonzalez: “Ich hätte nie gedacht, dir diesen Brief schreiben zu müssen”

24. Februar 2012

Mein immer geliebter Brother!

Ich hätte nie gedacht, dir diesen Brief schreiben zu müssen. Uns beiden ist die Abneigung gegen den Briefwechsel gemein, was nur allzu offensichtlich wurde, z.B. während unserer jeweiligen internationalistischen Missionen bzw. – noch deutlicher – durch die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre. Mit anderen Worten gesagt: nur außerordentliche Bedingungen wie die jetzigen konnten mich dazu führen, ihn zu schreiben.

Unter normalen Bedingungen würde ich dir diese Dinge persönlich sagen, und vieles bräuchte ich gar nicht zu sagen. Für dich sollte dieser Kampf mit aller Kraft gegen eine Krankheit, die dich zu verschlingen droht, ausreichend sein, aber zu ihr kommt noch ein weiteres, viel tödlicheres menschliches Leiden hinzu: der Hass.

Jener Hass, der es mir nicht erlaubt, dir alle deine Anstrengungen mit dieser verdienten Umarmung zu vergüten, die wir, die Cuban Five, dir geben möchten.

Jener Hass, der es mir nicht erlaubt, mein Lachen über jeden deiner Einfälle, die aus deinem immensen Mut hervorquellen, den anderen anzuschließen.

Jener Hass, der mich dazu zwingt, aus der Stärke deiner Atemzüge am Telefon die hindernisreichen Verlagerungen der Frontlinien bei diesem von dir ausgefochtenen Kampf zu erraten.

Jener Hass, der mir die Betrübnis aufbürdet, all den anderen, die dich mögen, bei deiner Pflege nicht zur Seite stehen zu können; und der verhindert, dass ich dort sein kann, um Sary und die Kinder zu unterstützen.

Jener Hass, der mir verweigert zu erleben, wie unsere Neffen und Nichten heranwachsen, die in diesen Jahren schon zu Männern und Frauen geworden sind. Wie stolz du auf deine Kinder sein kannst!

Jener Hass, der es mir nicht erlaubt, meinen Bruder einfach zu umarmen. Der mich dazu zwingt, von einer absurden und entfernten Absonderung aus jenen Prozess zu verfolgen, dem ich beiwohnen sollte, und zwar wie jegliche andere Person, die eine Haftstrafe abgeleistet hat, eine schon an sich genügend lange, die eben gerade aufgrund des Hasses verfügt wurde, diesem aber noch nicht genug ist.

Was kann man angesichts von soviel Hass tun? Ich glaube das, was wir immer getan haben: Das Leben lieben und um es kämpfen, sowohl um das unsrige wie um das der anderen. Alle Hindernisse mit einem Lächeln im Gesicht überwinden, mit einem passenden Scherz, mit diesem Optimismus, der uns von Kindheit an eingeflößt wurde. Weiter vorangehen, kämpfen, niemals kapitulieren, immer gemeinsam und eng zusammen, so sehr sie sich auch bemühen, mich von denjenigen zu trennen, die mir zugetan sind, um uns alle damit zu bestrafen.
Heute kommen mir jene wunderschönen Tage deiner Zeit als Athlet in Erinnerung. Du im Schwimmbecken und wir auf den Sitzreihen und deinen Namen rufend, während du gekrault hast und du die Stimmen in Intervallen gehört hast, jedes Mal, wenn du den Kopf zum Atmen aus dem Wasser gehoben hast. Später hast du uns erzählt, dass du manchmal deinen vollen Namen gehört hast, und andere Male den Anfang bzw. das Ende desselben. Da haben wir dann geübt, darauf zu warten, dass du den Kopf aus dem Wasser hebst, und haben immer genau in jenem Augenblick alle zusammen einstimmig deinen Namen gerufen. Du konntest uns nicht sehen, aber der Ruf unserer Anwesenheit erreichte dich und du wusstest, dass wir dich unterstützten, auch wenn wir nicht direkt in den Wettkampf im Schwimmbecken eingreifen konnten.

Jetzt wiederholt sich die Geschichte. Während du dich mit allen deinen Kräften dieser Herausforderung stellst, ermutige und ermuntere ich dich weiter, jetzt zusammen mit der Familie, die du damals noch nicht gebildet hattest. Auch wenn du mich nicht sehen kannst, weißt du, dass ich dort bin, an der Seite der Deinigen, die auch die Meinigen sind. Du weist, dass ich, dein Bruder, von meiner ungewöhnlichen Verbannung aus, mit der Betrübnis der erzwungenen Trennung, unter den absurdesten Bedingungen der überwachten Freiheit, als kubanischer Patriot wie du und ausgehend von dem uns verbindenden gemeinsamen Blut und Erlebnissen immer an deiner Seite bin und sein werde. Jedes Mal, wenn du den Kopf heraushebst, wirst du meinen Ruf zusammen mit denen meiner Nichten und Neffen hören.

Atme tief durch, Brother!!

In Liebe, dein Bruder

René

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