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Was erlauben, Rösler!

Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Philipp Rösler: Die künftige Marschrichtung fest im BlickShow oder ernsthafter Dissens beim Umgang mit der Euro-Krise? Am Mittwoch hatte es den Anschein, als stellten sich führende Vertreter der kleineren Koalitionsparteien FDP und CSU gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die hatte noch zu Wochenbeginn Zurückhaltung bei öffentlichen Äußerungen gefordert und zur Geschlossenheit aufgerufen, nachdem FDP-Chef Philipp Rösler eine geordnete Pleite Griechenlands ins Gespräch gebracht hatte. Von Zurückhaltung war allerdings nichts zu spüren. FDP-Generalsekretär Christian Lindner zeigte sich demonstrativ renitent, und eine ganze Phalanx von Liberalen stellte sich hinter ihren Vorsitzenden.

Rösler habe nur Selbstverständlichkeiten ausgesprochen, sagte Lindner der Financial Times Deutschland (Mittwochausgabe). Sowohl die Finanzmärkte als auch die Menschen in Deutschland und Griechenland bräuchten langfristig Klarheit. »Das geht nicht dadurch, daß man ein Schweigegelübde ablegt.«

FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms zeigte sich erstaunt über die Debatte. Das Insolvenzverfahren für Staaten sei »auf der Agenda der Europäischen Union und der Bundesregierung«. Man solle nicht so tun, »als wäre das eine neue Idee« beschied er in einem Gespräch mit dem Sender HR Info. Der saarländische Wirtschaftsminister Christoph Hartmann warf Merkel in der Saarbrücker Zeitung vor, ein »kategorisches Denkverbot« ausgesprochen zu haben. Auch FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle wollte das Verdikt der Kanzlerin nicht gelten lassen. Zwar müsse man mit der aktuellen Situation in Europa umsichtig umgehen, sagte er im ARD-Morgenmagazin. »Aber es geht doch nicht, daß man einfach ein Tabu darüber legt.«

Auf Distanz zur Regierungslinie ging auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, als er vor den Risiken der europäischen »Rettungsschirme« warnte. Der geplante permanente Stabilitätsmechanismus ESM »würde uns zum Teil Zahlungsverpflichtungen diktieren, über die das Parlament keine Kontrollmöglichkeiten mehr hat. Das ginge an die Grundfesten der parlamentarischen Haushaltshoheit«, sagte der CSU-Vize der Wochenzeitung Die Zeit.

Ob das alles ernstgemeint ist oder nur ein weiterer Profilierungsversuch der schwer angeschlagenen Liberalen? Eine Pleite Griechenlands gilt den meisten Politikern, dem Finanzkapital und nicht zuletzt den Konzernmedien als europäischer Sündenfall. In breiten Kreisen des bundesdeutschen Bürgertums gibt es jedoch erhebliche Bedenken gegen die permanenten Rettungsversuche. Wie tief die gesellschaftliche Spaltung geht, wurde zuletzt am Rücktritt des deutschen Führungsmitglieds der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, deutlich, der für eine konservative, den Maastricht-Verträgen adäquate Geldpolitik stand.

Bei der gesamten Debatte wird indes immer noch Klartext vermieden. Politisch ist die Euro-Krise – wenn überhaupt – wohl nur auf zwei Wegen zu entschärfen: Die Einrichtung einer Haftungsunion aller Euro-Staaten, in der die wirtschaftlich starken für die schwächeren Staaten einstehen, oder den Ausschluß bzw. den Austritt der Pleitekandidaten aus dem Euro-Verbund. Ersteres bedingt die Aufgabe nationaler Hoheitsrechte, für die es derzeit keinerlei rechtliche Grundlagen gibt. Ein Ausscheiden auch nur eines Staates aus der Währungsunion birgt die Gefahr des Auseinanderbrechens dieses Konstruktes. Ein dritter Lösungsweg – die Zähmung des Finanzkapitals durch weltweit verbindliche Regeln gegen Spekulationsgeschäfte – scheint ausgeschlossen. Zu stark profitieren Banken, Fonds und Anleger davon und zu sehr hängen ganze Volkswirtschaften (z.B. Großbritannien) von den »Erträgen« derart parasitärer Geschäftsmodelle ab.

(Jungewelt)

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